Lesenswert: „Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen“

Psychologisch fundierte Erziehungstipps.

Das Basiswissen für Eltern und solche, die es werden wollen. Von Philippa Perry.

Ja, es gibt kreativere Buchtitel. Der Inhalt dieses Buches ist dennoch lesens- und wissenswert. Insbesondere für Eltern und solche, die es werden wollen. Denn jeder, der Auto fahren möchte, muss einen Führerschein machen und die entsprechenden Tests bestehen. Aber es gibt keine standardisierte Vorbereitung für werdende Eltern, die Ihnen Richtlinien an die Hand gibt, wie die Erziehung leichter fällt und man unnötige Fehler vermeiden kann.

Philippa Perry gibt in ihrem Buch gesunde und psychologisch fundierte Erziehungstipps und vermittelt damit Basiswissen, das in der Kindererziehung sehr nützlich ist und das sich alle Eltern zu eigen machen sollten. Selbst Menschen ohne Kinder können davon profitieren, wenn sie ein Interesse haben, etwas über Erziehung und Kinder zu lernen. Und schließlich waren wir alle einmal Kind. 

Selbstverständnis als Basis

Perry sagt, um das Verhalten von Kindern zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit dem größten Einfluss in ihrem Leben befassen – uns selbst. Denn als Vater und Mutter ist man ihr erstes und wichtigstes Vorbild. Nichts belastet unsere Eltern-Kind-Beziehung so sehr wie unsere eigenen Kindheitserfahrungen. Die kognitiven Verknüpfungen aus dieser Zeit haben großen Einfluss darauf, wie wir als Erwachsene mit Kindern umgehen.

Deshalb ist es ein wichtiger Anteil der Kompetenz und Sicherheit in der Kindererziehung, ein gutes Selbstverständnis zu entwickeln, unter Beobachtung unserer eigenen Verhaltensmuster und Gefühle. Auf der Basis dieses Selbstverständnisses können bessere Entscheidungen getroffen werden, welche unserer Verhaltensmuster wir an die nächste Generation weitergeben möchten – und welche nicht. 

Babys brauchen tiefe und sichere Bindung

Babys werden von heute auf morgen in eine große und unheimliche Welt voller rätselhafter Eindrücke geworfen. Das ist überwältigend, und jede Erfahrung ist die erste ihrer Art. Darum sind sie vollkommen abhängig von der einzigen Konstanten in diesem Chaos: die Menschen, die sich um ihre Bedürfnisse kümmern.

Um nun in diesem rätselhaften Chaos unserer Welt einen guten Start ins Leben zu haben, brauchen Babys vor allem eines: zuverlässige Zuwendung. Dazu gehört unter anderem, dass wir sie nicht zu lange schreien lassen, wenn sie sich nach Nahrung oder Nähe sehnen.  Wenn Kinder auf diese Art von Zuwendung vertrauen können, knüpfen sie sichere und stabile Bindungen und haben eine realistische Chance, zu optimistischen, offenen und beziehungsfähigen Menschen heranzuwachsen.

Dabei geht es unter anderem um die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Das bedeutet, das Baby schreit und erfährt, dass es dadurch eine Reaktion auslöst – meine Mama oder mein Papa kommt! Das vermittelt beständige Sicherheit und so wird die Bindungsfähigkeit von Kindern geprägt.

Foto von Pixabay

Kinder sind anders, aber wie?

Perry erörtert unter Berufung auf Studien, was genau ein ideales Lebensumfeld für Kinder ausmacht, und wie man es gestalten kann. Gleichzeitig warnt sie davor, welche Einflüsse sich negativ auf die mentale und emotionale Entwicklung von Kindern auswirken kann. Sie geht darauf ein, warum Kinder anders mit Emotionen umgehen als Erwachsene, und warum wir sie dennoch ernst nehmen sollten. Es werden Beispiele gegeben, wie sich diese Andersartigkeit in Ihrem Verhalten zeigen kann, welche Bedürfnisse dahinter stecken und welche Reaktionen angemessen sind.

Denn als Erwachsene ist es unsere Aufgabe, ein Verständnis für die kindlichen Eigenheiten zu entwickeln und diese in unseren Reaktionen zu berücksichtigen. Der Lohn dieser Bemühungen ist ein offenerer Umgang mit Gefühlen, weniger Konflikte und ein vertrauensvolles und glückliches Kind – was sich letztendlich alle Väter und Mütter wünschen.  

Machtkämpfe vermeiden 

Perry erklärt, dass Erwachsene dazu neigen können, die Eltern-Kind-Konflikte zu Machtkämpfen zu stilisieren. Vor allem, wenn die Kinder in die Pubertät kommen, wird man dazu verführt. Leider verlieren am Ende alle, wenn wir uns darauf einlassen. Auch wenn man geneigt ist, Konflikte als Angriffe gegen die Autorität zu deuten – das wäre kontraproduktiv.  

Es geht nicht darum, dass wir Erwachsenen uns „durchsetzen“ oder „nachgeben“. Es geht darum, auf die Bedürfnisse aller Beteiligten zu achten. Hilfreicher ist es, Kindern positive Werte zu vermitteln.

Laut Perry profitieren Kinder besonders von den folgenden vier Eigenschaften, wobei es am wichtigsten ist, dass wir sie ihnen selbst vorleben.

  • Frustrationstoleranz
  • Flexibilität = auf Veränderungen reagieren.
  • Probleme lösen
  • Empathie

Einflüsse auf die psychische Gesundheit 

Perry erklärt, wie wir unsere psychische Gesundheit fördern können. So lässt sich zum Beispiel die Kraft der teilnehmenden Beobachtung nutzen. Dabei versuchst du mit allen kognitiven Ressourcen zuzuhören, und nimmst wirklich Anteil an den Gedanken und Gefühlen deines Gegenübers. Man könnte es auch als ungeteilte Aufmerksamkeit beschreiben. Die meisten von uns machen oft das Gegenteil: Wir denken schon beim Zuhören an das, was wir selbst zum Besten geben wollen. Die schnelllebige Zeit und allgegenwärtige Ablenkungen tun ihr Übriges. 

Zum Beispiel Smartphones. Es mag verrückt klingen, aber die sogenannte Smartphonesucht gilt inzwischen weltweit als Problem. Darunter leiden auch die Kleinsten unter uns. Wer täglich pausenlos am Telefon hängt, richtet weniger Aufmerksamkeit auf seine Kinder (und auch seine eigenen Bedürfnisse). Er beraubt sich und andere seines Da-Seins. Nicht nur, dass dabei wertvolle Familienzeit flöten geht: Kinder empfinden die Vernachlässigung als Zurückweisung und laufen Gefahr, später selbst abhängig zu werden.

Perry betont, dass wir unseren Umgang mit modernen Technologien hinterfragen sollten, um Kindern die Aufmerksamkeit zu geben, die sie benötigen. Denn wenn wir das nicht tun, kann das weitreichende Konsequenzen haben. So greifen Kinder, die sich nicht gesehen oder gehört fühlen, zu drastischen Mitteln. Sie provozieren absichtlich, um Aufmerksamkeit zu erhalten – nach dem Motto „Ärger ist immer noch besser als Missachtung“. Die Eltern wiederum maßregeln dann ihr Kind für ihr auffälliges Benehmen. Hier besteht die Gefahr, dass ein Teufelskreis entstehen könnte, den es zu durchbrechen gilt. 

Spielen ist Arbeit

Unterschätze niemals die Bedeutung des Spielens. Unsere Gesellschaft trennt zwar im Allgemeinen die Arbeit vom Vergnügen, aber wenn Kinder spielen, tun sie genau das: arbeiten. Sie nutzen ihre Vorstellungskraft, um soziale Handlung zu konstruieren. Perry sagt, wir sollten unsere Kinder zu dieser mentalen Arbeit ermutigen, indem wir Interesse an ihren Spielen zeigen. Und das Kind in uns hat sicher auch Freude daran. 

Zeitenwende 

Die Zeiten ändern sich, und das Bewusstsein vieler Eltern bezüglich der Psychologie von Kindern ist heute bereits viel größer als noch in der vorherigen Generation. Das ist ein Vorteil. Die Eltern von heute versuchen, aus den Fehlern vergangener Generationen zu lernen. Daher ist es hilfreich sicherzustellen, dass man als Elternteil das Basiswissen verstanden hat und in sein Verhalten integriert.

Schließlich ist es eine riesige Verantwortung ein Kind zu erziehen, und jeder will seinem Kind das Beste geben. Was Teil des Besten ist, vermittelt uns Perry in ihrem Buch, und das ist eine gute Sache. Auch, wenn der Buchtitel literarisch gesehen kreativer sein könnte. 

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